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#25 Die Familienfrage
Kinderkram Das Kieler magazin für Menschen mit Kindern | Mai-Ausgabe 2023
Jeder kennt die Situationen, alle sitzen am Essenstisch, das Handy liegt entfernt, aber läutet und kündigt eine neue Nachricht an. Schon ist man in Gedanken bei der nächsten Sprachnachricht, dem ersehnten Anruf oder dem Bild von der Übernachtungsparty der großen Tochter, auf welches man gewartet hat. Das wir körperlich auf den Klingelton reagieren, ist eine evolutionär bedingte Orientierungsreaktion. Das unser Kopf kurz zur Seite ruckt, dagegen können wir kaum etwas tun. Aber ob wir dann vom Essenstisch aufstehen und nachschauen oder ob wir es bei dieser Reaktion belassen, da sollten wir uns selbst genauer beobachten. Laut neusten Studien sinkt die Gesprächsqualität bereits signifikant, sobald das Handy umgedreht auf dem Tisch liegt, da die Gedanken doch immer wieder zum Gerät und seinen Inhalten wandern. Mittlerweile steuern wir fast alles über unsere Handys. Meist sogar vieles was unsere Kinder betrifft, die Essensbestellung über die Mensa-App für die nächste Schulwoche, die Zusage per E-Mail für den Elternabend, Spielverabredungen etc. Sicherlich haben Eltern noch nie so viel Zeit mit ihren Kindern verbracht, wie unsere Generation heute. Doch mit der wachsenden Digitalisierung wird es umso wichtiger, dass man sich als Familie zum Thema -Aufmerksamkeitsethik- Gedanken macht. Dabei beginnen wir am besten bei uns selbst. Wann schenke ich meinen Kindern ungeteilte Aufmerksamkeit? Bin ich genügend im Hier & Jetzt, wenn ich mit meinem Kind zusammen bin? Mit dem Handy oder auch der Zeitung in der Hand, befinde ich mich oftmals in einem Paralleluniversum. Für unsere Kinder bin ich zwar sichtbar, aber dennoch nicht ganz anwesend. Und genau das macht es insbesondere für sie so schwierig. Im Säuglingsalter sprechen Experten vom sogenannten „Silent-Face-Problem“. Das Gesicht der Bezugsperson friert ein. Das Baby sieht die Eltern, aber es finden viel weniger Resonanzprozesse statt. Die Resonanz, das gegenseitige Wahrnehmen und Beziehen aufeinander, ist im Kontakt mit unseren Kindern so wichtig. Denn sie bildet die Grundlage für unsere menschliche Entwicklung. Lächelt das Baby seine Mutter an und bekommt als Resonanz ein eingefrorenes „Bildschirm-Gesicht“, so fehlt es an wichtigen Resonanzprozessen in der Entwicklung. Und auch für Kleinkinder wird es schwierig. Sind wir als Eltern sichtbar, jedoch abwesend durch unsere Handys, können Kinder das nicht begreifen. Man spricht auch von einem „Pseudokontakt“, wie bei Süßstoff, es schmeckt zwar süß, aber liefert keine Kalorien. Wären wir tatsächlich räumlich nicht da, so würden sich Kinder woanders Hilfe suchen. Für große Kinder und Jugendliche mit
eigenem Handy, ist es wichtig, unsere eigene Vorbildrolle und unser eigenes Verhältnis zu Computer, Handy, Alexa und Co. zu überprüfen. Da Kinder den Unterschied zwischen Arbeits- und Freizeitnutzung von Handys und Computern noch nicht unterscheiden können, ist es wichtig, dass wir ihnen diesen erörtern. Ja, Aufmerksamkeit ist ein heiß begehrter Stoff und es lohnt sich als Familie einmal zu überlegen, wann man sich gegenseitig ungeteilte Aufmerksamkeit schenkt. Ob dies durch medienfreie Räume oder Stummschalten beim Essen oder einfaches Ignorieren und Prioritäten setzen, gehandhabt wird, ist ganz egal. Die Möglichkeiten sind so individuell und sollten gemeinsam als Familie besprochen werden. Startet den Selbstversuch! Ich bin mir sicher, dass ihr eine wunderbare und auch nachhaltige Lösung für euch als Familie am Essenstisch finden werdet.
Erschienen in der Mai Ausgabe 2023
Essen Kommen - Familientisch - Familienglück
Mein Buch-Tipp
„Essen kommen – Familientisch – Familienglück“ von Jesper Juul. Ein wunderbares Buch, welches zeigt wie wichtig eine gemeinsame Tisch- und Esskultur für Familien ist und wie diese gelingt. Das Buch macht Lust auf gemeinsames Kochen mit einer leckeren Auswahl skandinavischer Rezepte.
